Die Zukunft gemeinsam gestaltet
Freie Scholle feiert 60 Jahre Albert-Schweitzer-Straße
Vor 60 Jahren baute die Freie Scholle ihre Siedlung Albert-Schweitzer-Straße. „Eine der schönsten Siedlungen“ Bielefelds, urteilte seinerzeit der „Bielefelder Spiegel“. Inzwischen hat die „Wirtschaftswunder-Siedlung“ am westlichen Rand der Innenstadt im Zuge des Stadtumbaus allerdings ein völlig neues Gesicht bekommen. Auch deshalb feierte sie am 10. September das 60-jährige Jubiläum mit einem großen Siedlungsfest.
Rund 250 Bewohnerinnen und Bewohner stießen bei herrlichem Sommerwetter auf den Geburtstag ihrer Siedlung an. Für sie hatte der Festausschuss ein buntes Festprogramm mit Kinderfest und Live-Musik organisiert. Den Auftakt der Veranstaltung machte die Ehrung der 17 Mitglieder, die von Beginn an in der Siedlung wohnen. „Sie sind die Anker, an denen sich die anderen Bewohner orientieren können. Damit haben Sie einen unverzichtbaren Beitrag zur guten Nachbarschaft in der Siedlung geleistet“, würdigt der Vorstandsvorsitzende Kai Schwartz die Bedeutung der Jubilare für das Zusammenleben in der Albert-Schweitzer-Straße.
„Darüber hinaus haben Sie aber auch den Wandel der Siedlung zu einer modernen Siedlung mitgetragen“, erinnert Schwartz sowohl an den Einsatz gegen den Ausbau der Albert-Schweitzer-Straße vor 15 Jahren als auch an die Unterstützung des anschließenden Stadtumbaus. In dieser Form Verantwortung für die Genossenschaft zu übernehmen, sei nicht selbstverständlich und verdiene große Anerkennung.
Dank der konsequenten Umstrukturierung der Siedlung durch bestandsersetzenden Neubau sei die Siedlung inzwischen in jeder Hinsicht zukunftsfest aufgestellt, zeigt sich Schwartz überzeugt. Dabei hatte die Siedlung schon in ihren Anfängen einen sehr guten Ruf in der Stadt. So berichtete der Bielefelder Spiegel im Jahr 1958 über die gerade fertiggestellte Siedlung: „In aller Stille, von der Öffentlichkeit wenig beachtet ist hier eine der schönsten Siedlungen im Stadtbereich entstanden.“
Von 1955 bis 1957 hatte die Freie Scholle auf dem Gelände des „Hönerschen Hofes“ 24 Häuser mit 232 Wohnungen und zwei Ladengeschäften für die Nahversorgung gebaut. Zwei Häuser mit weiteren acht Wohnungen kamen 1960 hinzu. Weil das Geld knapp war, wurden die ersten Häuser noch ohne Balkone gebaut. Erst als sich die Finanzierungsmöglichkeiten verbesserten, plante die Genossenschaft Balkone mit ein. Die Voraussetzungen dafür hatten die Mitglieder selbst geschaffen, indem sie pro Wohnung Geschäftsanteile in Höhe von 3.900 D-Mark einzahlten. Für die damalige Zeit war das eine außergewöhnlich hohe Selbsthilfeleistung, deckte aber immerhin ein Viertel der Baukosten ab.
Erst im Jahr 2000 machte die Siedlung ein weiteres Mal von sich reden, als die Albert-Schweitzer- an die Schloßhofstraße angeschlossen und zur Hauptverkehrsstraße mit 12.000 Fahrzeugen pro Tag ausgebaut werden sollte. Die Freie Scholle stoppte daraufhin die gerade angelaufene Modernisierung der Siedlung und legte geplante Investitionen in Höhe 21 Millionen Euro bis auf weiteres auf Eis. Dem großen Engagement der Scholle-Mitglieder ist es zu verdanken, dass die Albert-Schweitzer-Straße in weiten Teilen eine ruhige Anwohnerstraße ohne Durchgangsverkehr geblieben ist, denn nicht zuletzt auf Grund des starken Widerstands der Siedlung zog der Rat der Stadt die Planungen im Februar 2003 mit den Stimmen von SPD, Grünen, PDS und BfB endgültig vom Tisch.
Den Modernisierungsstopp nutzte die Freie Scholle, um gemeinsam mit den Bewohnern Pläne für einen bestandsersetzenden Neubau der Siedlung zu entwickeln und den Stadtumbau einzuleiten. Anders als bei der Modernisierung konnte die Genossenschaft dadurch nicht nur fast alle Wohnungen barrierefrei bauen, sondern auch die neuesten energetischen Standards berücksichtigen. Bisher hat sie 220 Wohnungen neu gebaut und 48 Wohnungen modernisiert. Insgesamt 247 dieser Wohnungen sind barrierefrei. Außerdem stellte die Freie Scholle hier 2012 ihr erstes Mehrfamilien-Passivhaus fertig.
Inzwischen befindet sich der Stadtumbau in seiner letzten Phase. Zurzeit entstehen an der Albert-Schweitzer-Straße 3 bis 7 insgesamt 28 barrierefreie Zweizimmerwohnungen. Davon sind 20 Wohnungen öffentlich gefördert.[1] Den Abschluss des Stadtumbaus bildet die Umgestaltung der Grünfläche an der Albert-Schweitzer-Straße. Hierzu hat die Genossenschaft Gespräche mit den Bewohnern und Nachbarn aufgenommen und in einem Siedlungsworkshop Ideen für die zukünftige Nutzung gesammelt. Die Arbeiten hierfür sollen nach der Fertigstellung des Neubaus im Jahr 2018 beginnen.
Wie bei der Planung der Wohnumfeldgestaltung fand der gesamte Stadtumbau unter intensiver Beteiligung der Bewohner statt. „Dazu gibt es keine Alternative, denn ohne die Bewohner lässt sich ein solch umfassender Prozess kaum erfolgreich und im gegenseitigen Einvernehmen bewältigen“, ist Schwartz überzeugt. Auch deshalb habe die Siedlung allen Grund, das 60-jährige Jubiläum zu feiern.
[1] Die Wohnungen des Neubaus Albert-Schweitzer-Straße 3 bis 7 sind im Rahmen der mittelbaren Belegung öffentlich gefördert. Das heißt, die Freie Scholle verpflichtet sich, innerhalb ihres Hausbesitzes eine entsprechende Anzahl Wohnungen gemäß den Bedingungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus zu vermieten. Die neu errichteten Wohnungen bleiben dagegen frei von Preis- und Belegungsbindungen.